Max und Maxi
von Isolde Hemmler, langjährige therapeutische Fachkraft im ATZ Rhein-Wupper
Max*: „Rheinbahn, ich komme!“
Max entdeckte sehr früh seine bleibend-wachsende Leidenschaft: Alles, was sich nach Plan und auf Schienen bewegte, faszinierte ihn nachhaltig. Als Erstklässler machte es ihm Freude, für Mitreisende den Türöffner zu betätigen, am Besten mit einer passenden Ansage. Später hatte er nicht nur Düsseldorfer Fahrpläne auf seiner eigenen Festplatte und half
dann gerne mit Informationen aus. Dass er sich vor allem in den ersten Schuljahren mit Einschränkungen und Zumutungen aus seinem Autismus herumschlagen musste, trat vor seinem inneren Ziel fast in den Hintergrund. Viele Hindernisse wurden genommen, Alleingänge gemeistert, Hürden überwunden. Ganz häufig gab es grünes Signal für freie Fahrt zur nächsten Wegmarke. Die Herausforderungen wechselten, Frust-Erlebnisse waren oft mit im Reisegepäck, aber das Vertrauen in eigenes Können und Wollen wuchs mit den Jahren.
So startete Max in das Gymnasium und gab sich die Zielorientierung:
ABI 2020. Mit vereinten Kräften (offener Austausch mit Vertrauten, Hilfe anfragen bei I-Helfer*innen und Therapeutin, kooperierende Schulleitung und Eltern, die immer hinter ihm und
seinen Plänen standen) wurde dieses Ziel genau wie geplant erreicht. Ausruhen war dabei nicht angesagt, es gab ja längst die nächste Zielvorstellung: Rheinbahn, ich komme! So wurde aus dem Ehrenamt (Max hatte sich immer wieder gerne bei Tagen der offenen Tür engagiert und auch andere Gelegenheiten gefunden…) ein nahtloser Einstieg in die Ausbildung beim fahrenden Personal der
Rheinbahn. Herzlichen Glückwunsch, lieber Max! Den Platz auf einem Fahrersitz hast Du Dir verdient! Gute Fahrt! Deine Ex-Therapeutin freut sich schon auf die erste Ansage von Dir, vielleicht in Deiner Lieblings-Bahn, in der U 75…
Maxi*: „Geht nicht, gibt’s nicht“
Maxi hatte im Herbst 2019 alle Pläne, die sie umtrieben, zu Papier gebracht. Das neue Jahr würde ein Jahr großer Veränderungen werden: Abitur, Umzug, eigene Wohnung, Leben in Partnerschaft, Führerschein, Ausbildung oder Studium… Ihre Pläne ließen nichts zu wünschen übrig. Für Betrachter festgefügte „Selbst-Instruktions-Anweisungen“ in denen es keinen Platz für „geht nicht, gibt’s nicht“ zu geben schien. Das Jahr begann, und Vieles konnte in diesem außergewöhnlichen Jahr nicht wie geplant über die Bühne gehen.
Manager-Qualitäten
Aber nun konnte Maxi erst recht ihre Managerin-Qualitäten zeigen! Schule vorbei von jetzt auf gleich, Abi-Ball ins Wasser gefallen und andere vermeintliche Verlust-Erlebnisse konnte sie schnell für sich umwidmen: Die Geselligkeit mit Mitschülerinnen war entbehrlich, den Ball brauchte man nicht wirklich, neue, eigene Pläne konnten gefasst und die Zeit nun intensiv und ungestört durch Andere zum Lernen und Organisieren genutzt werden. Und das tat sie!
Mitte August konnten Ergebnisse bestaunt werden. Vieles hatte sich erfüllt: Abi 2020, alles eingepackt und am neuen Ort ausgepackt, Führerschein in der Tasche und Dienst im FSJ gestartet… nun konnte nur noch die sofortige Zulassung zum Medizinstudium „dazwischen kommen“. Das wäre der Optimalfall, aber Maxi hatte wie üblich nichts dem Zufall überlassen und sich 2020 schon mit der Härtefallregelung beworben, zur Überbrückung und zur späteren Nutzung gleichzeitig ein FSJ begonnen… sollte sie dieses Jahr im FSJ zu Ende bringen müssen, hätte sie 2021 bessere Chancen beim erneuten Versuch zur Zulassung… so ist der Plan!
Die Zuschauer möchten weiter staunen. Schon häufiger fragen sie sich, wo hier der Autismus zu finden sei. Lieblingsmenschen, zugelassene Vertraute und Maxi selbst könnten dazu Auskunft geben. Die Informationen wären für offene Ohren interessant und würden zu viel Respekt, Akzeptanz und Nachdenken aufrufen. Im Jahr voller Umbrüche sprach z.B. die Vehemenz, mit der geplant und umgesetzt wurde, eine deutliche Sprache, die erreichten Erfolge aber erzählten vor allem von großer Zielorientierung und Effizienz.
Therapeutische Fachkraft im ATZ
Viel Erfolg beim weiteren Planen und Umsetzen, am Besten zusammen mit Lieblings-Mensch(en). Meine autismustherapeutische Wegbegleitung Als therapeutische Fachkraft im ATZ Rhein-Wupper konnte ich Max und Maxi, wie viele andere Klient*innen zuvor, über längere Zeit begleiten. Nach einer „bemühten“ Zeit des Kennenlernens konnten eine bedarfsund zielorientierte, regelmäßige Zusammenarbeit mit gegenseitigem Vertrauen sowie tragfähige Kontakte zu Familien, Sachbearbeitern, Schulen und anderen Institutionen hergestellt werden. Es entstanden verlässliche Regeln und Absprachen und das gemeinsame Wissen, sich auf den Anderen verlassen zu können.
An eigenen Schwächen arbeiten
Es wurde trainiert, Wünsche und Kritik zu äußern und konstruktive Wege zu erreichbaren Zielen zu finden. Beide lernten eigene Schwächen und wiederkehrende Muster im individuellen Verhalten zu erkennen und daran zu arbeiten. Sie übten, mit Kompromissen und eigenen Plänen zurecht zu kommen, die Perspektiven Anderer zu sehen und auch immer bereitwilliger anzuerkennen. Zum verbindlichen Setting gehörten natürlich die halbjährlichen Aus- und Absprachen im Jugendamt mit allen involvierten Begleitern, wünschenswerte Informations- und Beratungsgespräche in den Schulen, Kontaktanbahnung und Überleitung an nachfolgende Unterstützer sowie die zelebrierte Ablösung aus einer verbindlichen, gemeinsamen Zeit.
Eine besonders schöne „Belohnung“ war für mich, dass Beide eine Einladung zur Abitur-Feier (schon Corona-beeinträchtigt) aussprachen und auch nach Abschluss der therapeutischen Zusammenarbeit (bzw. sehr veränderten Rahmenbedingungen durch Umzug) im Kontakt bleiben wollten.
* Max und Maxi sind geänderte Namen, beide möchten von Fall zu Fall und im persönlichen Kontakt entscheiden, ob sie sich mit ihrer Autismus-Diagnose outen.